Offener Brief

 
Mir kribbeln gerade ein wenig die Finger und ich habe eiskalte Hände, bevor ich auf den "Veröffentlichen" Button drücke. Denn jetzt kommt ein sehr langer, sehr persönlicher,sehr offener und sehr subjektiver Post. Ein Statement, über das ich in den letzten Tagen lange nachgedacht habe. Soll ich? Soll ich nicht? Gehört es hier auf diese Seite? Ich finde: JA! Euch und mir bin ich es einfach schuldig.
Ich habe Unsicherheit ausgelöst, einige dadurch vor den Kopf gestoßen und einen unprofessionellen Eindruck hinterlassen. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Aber was war los?

Das letzte Jahr war toll: viele Aufträge, jedes Wochenende von April bis Oktober schöne Hochzeiten und Trauungen, wundervolle Paare, inspirierende Gespräche, erfolgreiche Präsenz in den Medien und der Mietvertrag für neue und größere Geschäftsräume wurde unterschrieben. Und natürlich erschafft man auch auf Facebook, Instagram & co die passende rosarote Hochzeitswelt drumherum. Klingt gut, oder? Doch das alles geht nicht von allein. Da steckt eine Menge Arbeit dahinter. Von Montag bis Freitag Büroarbeit, Hochzeitsshopping, Kundengespräche und Absprachen mit Dienstleistern. Mails und Telefonate wollen beantwortet werden, Angebote, Verträge und Rechnungen müssen raus. Traureden werden geschrieben, Konzepte erstellt.
In der heutigen 24/7 Gesellschaft kann das alles oft nicht schnell genug gehen. Erreichbarkeit rund um die Uhr auf allen Kanälen. Auch in der Hochzeitsbranche ist das mittlerweile angekommen. Alles und jeder ist immer und überall verfügbar. Dumm nur, dass der Tag nur 24 Stunden hat und die Woche nur 7 Tage. Ich hätte nicht nur mindestens doppelt so viele Stunden gebrauchen können, sondern auch mindestens doppelt so viele Köpfe und Hände. Denn neben der Hochzeitswelt gibt es auch noch meine Familie und mich. Da ich meine kleine Tochter, die noch ganz viel Mama braucht. Und auch mein Mann, der auch noch gern was von mir hätte. Und nicht zu vergessen: man selbst.
Nun habe ich mit mit der Hochzeitsbranche vielleicht auch eine ganz spezielle Branche herausgepickt: Brautpaare nehmen viel Geld in die Hand, wollen zu Recht nur das Beste und sind vor der Hochzeit oft ziemlich nervös. Dazu kommt, dass ich meine Kunden ständig neu akquirieren muss. Stammkunden gibt es nicht. Ist die Hochzeitssaison vorbei, folgen Hochzeitsmessen, Shootings und natürlich die Gespräche für die kommende Saison. So viel zum Status quo.
In der rosaroten Hochzeitswelt haben sich grundsätzlich alle lieb. Jeder hüpft vor Freude im Dreieck (oder im Herz?) und freut sich soooo wahnsinnig über jedes ach so süße und liebe Brautpaar. Fotos gestylten Schreibtischen oder elfengleich und dauerlächelnd herumtanzende Kollegen zieren die Social Media Kanäle. Hach, ist das schön.
Da ist es doch kein Problem, wenn man um 22:30 Uhr noch mal eben beim Hochzeitsplaner anruft, oder? Ist ja laut Whatsapp-Status noch online. Und bestimmt schaut der Grafiker am Sonntag noch schnell man in die Mails und und schickt noch schnell ein Angebot oder einen Entwurf. Schließlich lieben doch alle ihren Job so sehr? Ach was red ich... Job? Nein – das ist doch unsere Passion! Dafür leben wir doch. Oder nicht?
 
Ich selbst habe lange an das Konfuzius-Zitat geglaubt: Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.
Klingt wunderbar. Ist aber leider nicht so. Denn auch ein Traumberuf kann sich zu einem Albtraum entwickeln, aus dem du nur zugern aufwachen möchtest, aber nicht kannst.
 
Remember why you started.

Ich erinnere mich noch gut an den Moment, wo ich meine Webseite freigeschaltet habe. Viel Arbeit und noch mehr Herzblut steckten dahinter. Wann würde wohl das erste Brautpaar kommen? Das lies nicht lange auf sich warten. Und los ging es im bunten Hochzeitszirkus. Immer mehr Anfragen und Aufträge, immer erreichbar, immer gut gelaunt, immer höhere Ziele.

Stellt euch vor, ihr baut ein Haus. Erst ganz klein, mit liebe eingerichtet, es reicht gerade so vom Platz. Aber dann steigt der Platzbedarf. Ihr baut noch eine Etage drauf, dann noch eine und noch eine. Irgendwann steht ihr dann oben auf dem Dach und denkt: Wow, die Aussicht ist gut von hier oben. Toll, was du alles geschafft hast. Dumm nur, dass irgendwann die liebevolle Einrichtung auf der Strecke geblieben ist. Aber egal. Es muss weitergehen. Und schon wird die nächste Etage in Angriff genommen. Doch wer hält das alles sauber und in Ordnung? Langsam wird es schwierig, noch den Überblick über alle Zimmer zu behalten. Doch du baust weiter. Der Blick aus dem Fenster wird langsam schwindelerregend. Aber die Aussicht ist immer noch grandios. Andere bestaunen von außen dein tolles Haus, dass mittlerweile ein echtes Hochhaus geworden ist. Beinahe ein Wolkenkratzer.Doch hast du da nicht etwas vergessen? Die Statik vielleicht? Manchmal schwankt das Hochhaus nämlich bedrohlich. Aber egal. Du täuschst dich bestimmt. Aber eigentlich siehst du es schon kommen, willst es aber nicht wahrhaben. Und irgendwann ist es dann da: Das kleine Lüftchen, ein kleiner Windstoß. Es braucht gar keinen Sturm. Und das ganze Konstrukt fällt in sich zusammen. Bumms. Und du sitzt mittendrin in deinem Trümmerhaufen, nicht ohne auch noch Schaden drumherum hinterlassen zu haben. Und dann zieht doch noch der Sturm auf und macht das Chaos nur noch schlimmer. Im Nachhinein fühlt es sich so an, als hättest du nicht ein großes Haus gebaut, sondern ein immer tieferes Loch gebuddelt. Und plötzlich stürzt die Erde über dir zusammen. Wie kommst du da nun wieder heraus? Ersteinmal steckst du fest. Siehst nichts, kannst dich nicht bewegen. Kommst nicht vor und nicht zurück. Aber dann, langsam, Stück für Stück buddelst du dich wieder nach oben. Das ist kräftezehrend und geht nicht ohne die Hilfe von außen.
Doch wie geht es weiter? Schließlich warten doch noch so viele auf ein Zimmerchen in deinem Haus. Der Mietvertrag ist doch schon unterschrieben und bezahlt.
 
Und irgendwo da mittendrin stecke ich gerade. Dieses Gefühl wünsche ich niemandem. Vielleicht kennen es manche. Ich hoffe aber für euch, dass dem nicht so ist. Das Gefühl, sich nicht mehr rühren zu können, nicht wissen, wo oben und unten ist und nicht zu wissen, ob und wie man da wieder herauskommt.


„Hättest du doch was gesagt, wir hätten dir doch geholfen!“
 
Versucht mal um Hilfe zu rufen, wenn der Mund voller Erde ist. Es geht nicht. Du sitzt wie gelähmt in deinem Erdloch. Du weißt, da draußen sind Menschen, die dir helfen wollen. Aber du kannst sie nicht fragen. Es geht einfach nicht. Dann sind da aber noch die anderen, die darauf pochen, endlich in ihr gebuchtes Zimmer einzuziehen. Die, die nicht wissen (sollen), wo du gerade steckst. Auch diese kannst du nicht erreichen. Eigentlich soll es gar keiner wissen. Das Gefühl und die Scham vermeintlich versagt zu haben, sich übernommen zu haben, ist einfach zu groß. Vielleicht bleibst du doch lieber in deinem Loch sitzen und wartest, bis dich jemand findet? Vielleicht findet dich auch keiner. Vielleicht besser so. Wie soll es auch weitergehen? Das Haus ist kaputt. Und eigentlich bist du müde. Und während du da unten im dunkle sitzt, macht dein Kopf sich selbständig. Du machst dir Vorwürfe, zweifelst an dir selbst: „wie konnte das nur passieren – alles läuft falsch – du bist einfach nicht fähig dazu“... Dann fühlst du dich schuldig. Schließlich hast du andere mit hineingerissen. Die stehen jetzt oben vor den Trümmern und wissen nicht, was los ist und suchen dich als Schuldigen. Als Verursacher der Katastrophe. Manchmal hörst du ihre Stimmen. Aber eigentlich willst du das alles gar nicht hören. Du hältst dir die Ohren zu. Sehen kannst du ja eh nichts. Und dann überkommt dich in der drückenden Enge und Dunkelheit eine bleierne Müdigkeit. Am liebsten würdest du einfach nur noch schlafen. Dir wird egal, was da oben vor sich geht. Kannst es ja eh nicht mehr ändern. Du schläfst. Und träumst. Im Traum erinnerst du dich an deine Wünsche und Ziele ganz zu Beginn deines Hausbaus. Schön sollte es werden. Ein Platz für dich, deine Familie, freunde und andere liebe Menschen. Ein Platz zum Leben. Du wachst auf, weil in winziger Sonnenstrahl zu dir hindurch dringt. Wo er herkommt? Keine Ahnung. Aber er ist da. Und mit ihm eine Stimme, die nach dir ruft. Plötzlich mobilisierst du alle deine Kräfte. Du willst nur noch da raus. Langsam, Stück für Stück. Mit Hilfe von oben. Leider auch nicht ganz ohne Kratzer und Blessuren. Aber was erwartet dich oben? Sicher haben einige Mieter ihren Vertrag gekündigt. Verständlich. Sie wussten ja nicht, wo du stecktest. Aber auf manche Menschen ist verlass. Menschen, die nicht nach dem Warum oder Wieso fragen. Sondern einfach für dich da sind und an dich glauben.
Du weißt aber auch, dass du ab jetzt etwas ändern musst. Du erinnerst dich an das schöne Haus. Nach wie vor soll jeder darin sein Zimmer bekommen. Aber du änderst die Bedingungen. Du nimmst dir Zeit und planst den Ausbau Stück für Stück. Nimmst dir Hilfe dazu. Auch die Rezeption ist nicht mehr rund um die Uhr besetzt. Zu festen Zeiten bist du von nun an für deine Mieter da. Und du wirst merken, dass sich alle wohler fühlen. Vor allem aber du selbst.
 
In den vergangenen Wochen ist mir genau das passiert. Und ich bin gerade noch dabei, aus diesem Loch wieder herauszukrabbeln. Ich weiß noch nicht, was mich oben erwartet.
 
Ich möchte und werde mir den Januar Zeit nehmen, um in Ruhe wieder anzukommen. Alles zu sortieren und gut geplant und gestärkt wieder zu starten. Ich werde meine neuen Büroräume herrichten, neue Arbeitszeiten und Kontaktmöglichkeiten einrichten. Und ich freue mich über jeden, der mich dabei begleiten möchte.
 
Danke, für eure Geduld und Unterstützung.
Annika

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